WINTERDROGE

Autor: Joshua Hildebrand • veröffentlicht in der "TUNING", Ausgabe 02 / 2014


Kleinwagen können vieles sein: vernünftig, praktisch, sparsam, oftmals auch langweilig. All diese Attribute treffen auf Jamie Winters Renault Clio definitiv nicht zu. Der kleine Krawallmacher macht unheimlich viel Spaß und belebt Körper und Geist - hier kommt das vermutlich beste Heilmittel gegen alltägliche Langeweile!

 

Er ist weder vernunftorientiert, noch praktisch. Spaßiger dafür aber umso mehr. Gemeint ist Jamie Winters Renault Clio B von 2002 mit 195 PS. Eigentlich hatte das Erfolgsmodell aus Frankreich nur eine 1.2 Liter-Maschine und überschaubare 75 PS, bis sich der 22-Jährige aus dem englischen Newton Aycliffe gegen einen Weiterverkauf entschied. Genau – bis, denn als er mit seiner neusten Errungenschaft auf dem Weg nach Hause war, stellte sich bei Jamie der „Habenwollen“-Reflex ein und er wurde regelrecht süchtig nach der Rennsemmel aus dem Land des Kreisverkehrs. Der Umbau und das neue Projekt war somit sichere Sache:

 

Aus dem normalen Clio sollte nun ein einzigartiger Straßenrenner à la RS werden: Dazu wurde als erstes der Motor gegen die 2.0 Liter-Variante mit 16 Ventilen und 172 PS getauscht. Einlässe und Krümmer vom Clio Typ 182 waren ebenso notwendiger Teil der Leistungskur, wie die Verwendung des Getriebes vom 182er und der anschließenden Optimierung des Motorkennfeldes mit dem Steuergerät „Group N“ von K-Tec Racing. Außerdem hat Jamie orangefarbene Kühlwasserschläuche von Samco verbaut und den Motor mit Hilfe einer Carbonabdeckung aufgehübscht. Für den Motorsport-Sound ist ein Edelstahlauspuff mit Decat-Upgrade verantwortlich, der die nun auf knapp 200 PS gesteigerte Leistung entsprechend repräsentiert. Beim Fahrwerk griff der junge Werkstattbesitzer zu Weitec, einer Eigenmarke von KW. Die Wahl fiel auf ein Gewindefahrwerk, welches mit Fahrwerksbuchsen aus Polyurethan (ursprünglich aus dem Motorsport) gelagert ist und somit für eine Minimierung der Eigendynamik sorgt – im Fachchargon auch „polybushed“ genannt.

 

Das sportliche Aussehen resultiert aus dem kompletten Sport-Kit mit Carbon-Frontlippe und Carbon-Emblem, Scheinwerfer vom 172er Cup-Modell, den speziell angefertigten Nebelscheinwerferkappen, den hinten weiter ausgestellten Kotflügeln, den gecleanten Seitenleisten ohne Modellbezeichnung und dem Heckspoiler aus Kohlefaser. Auf die Plastikleiste am Heck wurde ebenfalls verzichtet. Die dabei entstandene Mulde wurde geglättet und anschließend weiß lackiert. Darüber hinaus sorgen die weiteren zahlreichen Veränderungen, wie das Weglassen des Frontkennzeichens, das Cleanen der Schweinwerfer-Waschanlage und des Heckscheibenwischers, das Entfernen des Türschlosses auf der Fahrerseite, sowie das „smoothen“ der Antenne für einen cleanen Look.

 

Clio+1

 

Im Innenraum hat sich der Engländer am Motto „Weniger ist mehr“ orientiert: Die komplette Innenverkleidungen wurde entnommen. Das Einzige, was hier noch an den alten Clio erinnert, ist das Armaturenbrett und die Mittelkonsole – und selbst die sind nicht mehr ganz Serie: Um das billige Plastik zu kaschieren, ließ Jamie nämlich beides beflocken, der Haptik sei Dank. Ein geschüsseltes OMP „Corsica“-Lenkrad mit 330mm Durchmesser samt Schnellverschluss ersetzt nun das Serienlenkrad und erhöht zusammen mit den Fiberglas-Schalensitzen von Sparco das Rennfeeling. 3-Punkt-Sportgurte von Luke haben einen dabei immer fest im Griff.

 

Clio+1 dürfte es jetzt nur noch heißen, denn für mehr als einen Mitfahrer gibt es ab sofort keinen Platz mehr. Jamie baute die hintere Sitzbank aus und verschweißte eine Domstrebe mit der Karosserie, um den kleinen Franzosen noch verwindungssteifer zu machen. Auch wenn Mr. Winter das Spartanische liebt, möchte er auf eines keines Falls verzichten: Musik! Die „Need for Speed“-Generation lässt grüßen. Steuereinheit und Lautsprecher sind von Sony, für die richtige Musik sorgt aber letztendlich der 198 PS starke „Zwoliter“: Dieser katapultiert den leichten Clio pfeilschnell auf 100 Sachen. Gut, dass die orangenen 16 Zoll Rota-Felgen samt 195/40/R16-Proxes-Reifen von Toyo einem sofort ins Auge stechen. Wenn es aber trotzdem einmal brenzlig werden sollte, stoppen gelochten Bremsscheiben vom Typ 172 jeden Übermut – klingt übertrieben? Nicht umsonst hat Jamie noch einen Überrollkäfig von K-Tec Racing im Rücken …

 

Zu schade für den Alltag

 

Seien wir mal ehrlich: Ein Vorurteil, welches vielen Kleinwagen anhaftet, ist, dass sie nicht sonderlich schnell und emotional sind. Bei Jamies Clio ist das anders. Zwar denkt man sich womöglich seinen Teil, wenn man an der Ampel neben ihm stehen sollte, das aber könnte sich prompt ändern, wenn man im Spurt auf Tempo Einhundert auf einmal das Nachsehen hat. Soll sagen: Eigentlich gehört der Clio auf die Rennstrecke. Als der Komplettumbau abgeschlossen war, stellte Jamie seinen Renault in die Garage und kaufte sich einen E46 3er BMW Cabriolet für den Alltag.

 

„Clio fahren“, sagt er, „ist zum Spaß haben“– etwas gegen alltägliche Langeweile eben. Dabei fährt der Engländer gar nicht so viel – nur rund 4.000 Kilometer kommen seinen Schätzungen nach im Jahr zusammen, den Rest der Zeit liegt er unter irgendeinem Auto in seiner Werkstatt und schraubt. Dabei liebt er die Umbauten von Carbon-Spoilern am liebsten. Gerade weil sie sehr teuer sind, dem Auto einen exklusiven Look bescheren und immer seltener werden. In Zukunft soll sogar vielleicht noch ein Kompressor- oder Turboumbau folgen oder einem 1er Golf von 1983 ein 1.9er G60-Motor „eingepflanzt“ werden. Jamies Ideenliste ist noch lang…